« Geschichte und Geheimnisse des dreckigen Rocksounds »
Kein Effekt ist derart weit über alle Musikstile hinweg verbreitet, wie der Verzerrer. Die Möglichkeit, den Klang und Charakter der Gitarre durch einen Verzerrer in Pedal-Form zu beeinflussen, begeistert Musikerinnen und Musiker mittlerweile schon seit etwa 60 Jahren. Wir betrachten heute die Geschichte der Verzerrer als Pedal für Gitarren und Amps, verraten, welche unterschiedlichen Formen des Effektes es gibt und welche technischen Besonderheiten hinter dem charakteristischen Sound stecken.
Geschichte der Verzerrer
Bereits mit dem Aufkommen der ersten Gitarrenverstärker in den 1930er und 1940er Jahren wurde den E-Gitarristen der ersten Stunde schnell klar, dass sich das Signal ihres Instrumentes mit technischen “Hilfsmitteln” verändern ließ. Was heute gewolltes Stilelement ist, war damals jedoch eher technische Unzulänglichkeit der Röhre. Die Kapazität der Röhren machte es faktisch unmöglich, höhere Lautstärken ohne eine entsprechend verzerrte Wiedergabe zu erreichen.
Für musikalische Ästhetik jedoch waren diese frühen Verzerrer eher weniger geeignet! Sehr raue Obertöne führten zu einem harschen, kreischenden Sound. Doch die Basis war gelegt – die experimentierfreudigen Gitarristen der Zeit arbeiteten an Möglichkeiten, den Sound zu kultivieren und für Aufnahmen und Auftritte nutzbar zu machen. Dabei verwendeten viele Musiker der damaligen Swing- und Blues-Ära oft defektes Equipment, wie defekte Röhren, zerstörte Speaker-Membran und ähnliches. So entwickelten sich nach und nach Möglichkeiten, den rauen Gesang beliebter Blues-Musiker wie Howling Wolfe oder Muddy Waters mit Gitarre und Röhre zu simulieren.
Die stetig weiterentwickelte Technik ermöglichte dann in den 1960er Jahren den Siegeszug des Rock mit dem nun auch speziell entwickelten Verzerrerpedal, der den Klang der Gitarren Effektgeräte salonfähig machten. Die zunächst als Fuzz-Pedale entwickelten E-Gitarren Verzerrer fanden in den Händen von Keith Richards, Jimi Hendrix oder Carlos Santana dankbare Abnehmer.
Auch nach der Ära des Classic Rock bestand weiter Bedarf an verzerrten Sounds, die mit dem Auftreten des Heavy Metal extremer und härter wurden. Anders als die Verzerrerpedale der 1960er und die Overdrive-Effekte der darauffolgenden Jahre wurde mit den neuen Distortion-Pedals eine übersteuernde Vorstufe simuliert! Mit durchschlagendem Erfolg, wie der Siegeszug der harten Gitarrenklänge zeigt.
Bis heute werden neue Varianten der Gitarren Effektgeräte entwickelt – digital, in klassischen Röhrenverstärkern integriert oder als Software-Lösung. Was jedem Verzerrerpedal dabei gemein ist, ist der durchsetzungsstarke und unverwechselbare Klang der Kombination Gitarre und Verstärker.
Fuzz, Overdrive und Distortion – technische Hintergründe und Sound
Nicht jedes Verzerrerpedal arbeitet gleich. Wir stellen die drei größten Gruppen, Fuzz, Overdrive und Distortion, sowie deren technische Hintergründe vor und verraten, welche klanglichen Besonderheiten die einzelnen Verzerrerpedale haben.
Was macht ein Verzerrer eigentlich? Clipping kurz erklärt
Um die technischen Besonderheiten der unterschiedlichen Effekte zu verstehen, muss zunächst darüber gesprochen werden, was “Verzerrung” eigentlich genau ist.
Technisch gesehen liegt immer dann Verzerrung vor, wenn die Amplitude, also der Ausschlag des Audiosignals, über der maximalen Leistungsfähigkeit des Systems bzw. der Röhre liegt. Die Signalkurve wird dann oben und unten “beschnitten” – Clipping.
Es gibt unterschiedliche Arten, in denen ein Signal vor dem Beschneiden per Verzerrer angehoben werden kann und wie stark das Clipping dann ausfällt. Während ein Verstärker in der Endstufensättigung des Overdrives eine noch immer sehr “runde” Amplitude zeichnet, bei der lediglich die absoluten Höhen und Tiefen beschnitten werden, ist der Eingriff bei Distortion-Pedals deutlich härter! Anders als beim “Soft Clipping” werden die Kurven hier deutlich härter verstärkt und entsprechend beschnitten – daher auch die Bezeichnung “Hard Clipping”. Doch auch beim Hard Clipping der Distortion-Pedals bleiben noch runde Kurvenverläufe zurück. Beim Fuzz hingegen wird per Verzerrer derart hart verstärkt und dann eingegriffen, dass beinahe rechteckige “Kurven” entstehen. Das Signal wird so zerstört, dass ein so genannter “Lo-Fi Effekt” entsteht. Die Soundqualität nimmt bewusst ab, der Klang wird rauer und extremer.
Fuzz
Fuzz in Reinform? Keith Richards auf dem Rolling Stones-Klassiker “Out Of Our Heads” mit dem legendären Intro von “(I Can’t Get No) Satisfaction”. Mehr muss eigentlich zum Klang der E-Gitarre Verzerrer dieses Typs nicht gesagt werden, oder?
Als Vater des Fuzz gilt vielen das legendäre Marshall Maestro FZ-1 Fuzz-Tone. Jenes Pedal, das Keith die Sounds gab, den er für die Stones suchte. Die Besonderheit von Fuzz-Pedalen liegt im besonderen Fokus auf die hohen Obertöne im Übersteuern des Amps. Die vorrangig im Signal befindlichen Mitten werden so von den Obertönen überspielt und führen zu dem durchsetzungsstarken und leicht nasalen Sound des Fuzz. Besonders im Zusammenspiel mit anderen Gitarren liegt das Fuzz-Signal dank hartem Clipping und durch seinen größeren Höhenanteil immer etwas “auf dem Mix” und lässt sich gut und leicht identifizieren.
Overdrive
Der klassische Overdriveeffekt wird durch das Überlasten und Übersteuern der Endstufenröhren im Verstärker erzielt. Dabei wird das Eingangssignal so heiß eingespeist, dass sich Obertöne in die Ausgangsleistung des Amps schleichen.
Die klangliche Besonderheit des Overdrive-Effekts liegt dabei in der harmonischen, sehr natürlich klingenden Verzerrung. Die Obertöne der Endstufe werden als harmonisch und sehr viel sanfter wahrgenommen, als das beim Übersteuern der Vorstufe (Distortion) oder beim Fuzz der Fall ist.
Um mit einem klassischen Röhrenverstärker in den Bereich des Übersteuerns zu gelangen, hilft nur eins: Lautstärke. Erst bei einer maximal ausgelasteten Endstufe kommen die Röhren in ihre Begrenzung und liefern den gewünschten Sound. Overdrive-Effekte können diesen Effekt mildern, indem sie das Signal bei niedrigeren Lautstärken anfeuern. So lassen sich ordentliche Overdrives auch bei angenehmeren Lautstärken erzielen.
Distortion
Während Overdrivesounds anstehen, weil die Endstufe durch den Verzerrer an ihre Leistungsgrenze getrieben wird, ist bei Distortion im Verstärker besonders die Vorstufe gefragt. Die im Grenzbereich arbeitenden Vorstufenröhren produzieren dabei einen harschen, schneidenden Sound und führen zu einem Hard Clipping (siehe oben) des Signals. Ebenfalls anders ist die Art, auf der Distortion im Verstärker in den Klang eingreift: Im Overdrive werden sämtliche Soundbestandteile durch den Verzerrer übersteuert, Distortion beeinflusst aktiv den Tone-Bereich der Gitarre.
Das Ergebnis sind besonders brutal und “kalt” wirkende Gitarrensounds, die sich besonders in modernen Metal-Sounds wiederfinden. Kritiker sehen im kalten Klang der Verzerrer etwas Künstliches, Liebhaber schätzen die Gewalt und Durchsetzungskraft des Effekts.
E-Gitarre mit Verzerrer: Sounds mit Wiedererkennungswert
Ob Overdrive, Distortion oder Fuzz – Verzerrerpedale gehören mindestens so zur E-Gitarre wie der Röhrenverstärker. Was als technische Unzulänglichkeit begann, hat sich im Laufe der Jahrzehnte zum wohl meistgenutzten Gitarren-Effekt gewandelt. Mit dem Wissen um die technischen Besonderheiten der einzelnen Effekte lassen sich die Verzerrer mittels Pedal zielgerichtet und bewusst einsetzen. So steht der zugegebenermaßen ewigen Suche nach dem perfekten Sound nichts mehr im Weg…
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Bildquellen:
Beitragsbild (Distortion Pedal): © poomsak – stock.adobe.com
1966 Gibson Maestro Fuzz Tone FZ-1A: By Red Rooster (talk · contribs) – Own work, Copyrighted free use, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=705230